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Glück und Leid

Tagebuch einer Adoption
von Gerd Zeeh , Alpaca Ranch Zeeh

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Donnerstag 21.07.

Wir warten sehnsüchtig auf das erste Fohlen der Saison. Ganz besonders wartet unsere FÖJ-lerin, denn es sind ihre letzen 10 Tage bei uns und die Geburten sind ja immer ein Höhepunkt. Am Vormittag noch keine Anzeichen einer bevorstehenden Geburt, also ab in die Mittagspause. Gegen 14 Uhr sind wir wieder auf der Weide. Doch was ist das, da geht doch bei unserer 9 jährigen, silbergrauen Belinda, gerade die Nachgeburt ab. Schade Geburt verpasst. Das Hengstfohlen sitzt recht kraftlos und zitternd vor dem Unterstand. Also erstmal in den Stall bringen, trockenreiben und zu Kräften kommen lassen. Anders als sonst verlaufen die ersten Stehversuche, die japsend in der Einstreu enden, als hätte er einen Dauerlauf hinter sich. Nach 3 Stunden somit auch noch keine Versuche sich die lebenswichtige Ration Kolostrum abzuholen. Hilfestellungen werden nicht angenommen. Was bleibt mir anderes übrig, als die Stute abzumelken. Jeder der das schon mal gemacht hat, weiß was das heißt, zumal die Milch noch nicht richtig in Fluss gekommen ist. Also muss Kuhkolostrum als Ersatz her. Ich mache mich auf den Weg zum nächsten Landwirt um welches zu holen. Als ich zurückkomme, wird es nicht mehr benötigt. Geronimo wie wir ihn genannt hatten, hatte seinen kurzen Lebenskampf verloren. Nicht schon wieder. Bereits vor 2 Jahren verlor Belinda ihr Fohlen nach 3 Tagen. Damals wurde es in der Nacht geboren und wir fanden es am Vormittag bei strömenden Regen und 2 Grad Außentemperatur auf der Weide. Ob es eine Vorerkrankung gab, wurde damals nicht geklärt. Bei Geronimo wollten wir es genauer wissen. Eine Obduktion brachte es an den Tag: Innere Blutungen durch einen Leber- und Zwerchfellriss. Ein Lungenflügel konnte sich durch den Zwerchfellriss nicht entfalten. Er hatte also keine Chance.

Freitag 22.07.

Den ganzen Tag sucht unsere Belinda ihr Fohlen. Es ist ca. 21.30 Uhr und wir sitzen nach dem Abendessen noch gemeinsam auf der Weide. Das Handy klingelt- der Tierarzt. Was will der denn, sonst rufe ich ja an? Er sagt mir, er wäre auf dem Weg zu Alpakas bei denen an diesem Tag nach der Geburt die Stute verstorben ist. Und dann die Frage - wollen wir es versuchen die beiden zusammenzuführen? Kurz überlegen und dann hatte er mich wieder, mein Sprachfehler: Ich kann schlecht NEIN sagen.

Noch etwas zur Vorgeschichte. Das Fohlen stammt aus einer schlechten Haltung. Der Besitzer jongliert auf der einen Seite mit Millionen, besucht seine 15 Alpakas aber nur 2- bis 3-mal im Jahr. Der Hausmeister seiner großen Gewerbeimmobilie kümmert sich nebenbei mit um die Tiere. Mit den Alpakas stehen auch zwei Ponys auf der Weide, die in diesem Jahr schon 2 Crias totgebissen haben. Wahrscheinlich fiel ihnen auch die Stute zum Opfer. Nachbarn hatten am Abend das Fohlen und die tote Mutter gefunden. Der Hausmeister der angerufen wurde, war im Urlaub, sagte aber dass sie sich an Romy Schmidt - Traumweide wenden sollten, da er diese kannte. Nun kam die "Rettungskette" zum laufen. Der Tierarzt wurde gerufen und Angehörige der Finder fuhren die 50 km zu Romy um Kolostrum und Flasche zu holen. Der Tierarzt meldete sich bei uns , da er von uns wusste ...

22.15 Uhr - Es ist soweit, der Tierarzt fährt mit seiner Kollegin und dem Fohlen vor. Da ist es, ein rosagraues Hengstfohlen mit einem abgeknickten Ohr. Und da waren sie die ersten skeptischen Gedanken: ein Hengstfohlen, wenn das nicht klappt ziehen wir ihn mit der Flasche groß und in 2 Jahren...? Doch erst einmal mussten wir alles versuchen. "Gustav" braucht uns jetzt. Als erstes zogen wir dem Kleinen einen Fohlenmantel an und stopften Wolle von Belinda darunter, die zum Glück noch nicht verarbeitet war. Die Stute wurde noch mal untersucht, alles in Ordnung, Milch auf allen 4 Zitzen. Dann war es soweit. Als die Belinda den Kleinen sah, begann sie ganz aufgeregt zu locken und beschnupperte ihn ganz intensiv. Gustav macht sich sofort auf die Suche nach dem Euter. Doch was jetzt, sie tritt, nicht direkt nach dem Kleinen sondern senkrecht nach unten, wie ein bockiges Kind. Mit dezentem Festhalten und Beruhigen gelingt es, dass Gustav seine erste Milch von seiner neuen Mutter trinkt. Durch sein entschlossenes und zielsicheres Auftreten vermuten wir, das er schon bei seiner leiblichen Mutter das lebensnotwendige Kolostrum zu sich genommen hat, aber wir wussten es nicht genau. Gegen 23 Uhr kamen dann auch die Helfer mit dem Kolostrum aus Oberwiesenthal. Also zur Sicherheit noch eine Flasche gemacht. Auch hier trank er noch etwas.

Was werden die nächsten Tage, Wochen, Monate bringen? Wie viele Flaschen müssen gespült werden? Fragen über Fragen. Na ja erst mal schlafen, am besten gleich im Stall bei den beiden.

Samstag 23.07.

Morgens erst wieder festhalten und beruhigen, denn sie stampft wieder. Mit wenigen TTouches lässt sie sich aber schnell beruhigen und Gustav darf saugen. Da es mir etwas wenig erscheint, gibt es im Anschluss noch mal die Flasche und auch hier trinkt er wieder. Dann geht es auf die Weide zu den anderen... Nach einer Weile sondert er sich aber von den anderen und seiner Amme ab. Sucht er seine richtige Mutter? Also die beiden wieder in den Stall und eine kleine Extraweide zum zusammengewöhnen. Alle 4 Stunden dann das Prozedere mit dem Festhalten, aber sie tritt nicht mehr und wird immer entspannter. Aber aus der Flasche trinkt er im Anschluss immer.

Sonntag 24.07.

Am Nachmittag dann das was man nicht gebrauchen kann, besonders nicht in dieser Situation. Mir fällt auf das die Stute schon seit fast 3 Stunden auf einer Stelle sitzt. Nachdem ich sie zum Aufstehen bewegen konnte, ging sie hinten links lahm. Warum das jetzt. Alles abtasten. Nichts zu finden. Aber dann das Euter. Auf der linken Seite alles knüppelhart und hitzig, sogar am Bauch ist schon eine Schwellung spürbar. Abmelken lässt sich kaum etwas. Temperatur 39,8. Also der TA muss her. Diagnose Mastitis. Na danke schön auch. In den nächsten 4 Tagen wird sie Antibiotikaspritzen gebrauchen. Dazu regelmäßige Einreibungen mal mit einer Durchblutungsfördernden Salbe und mal mit kühlenden Quark. Nach der ersten Spritze geht es ihr etwas besser, aber das Fieber wird sie in den nächsten 3 Tagen ständig begleiten und auch immer um die 39,5°C. Dennoch versuchen wir den Kleinen regelmäßig trinken zu lassen. Und als ob er es spürt, versucht er es nur auf der rechten Seite. Immer gibt es im Anschluss die Flasche und immer trinkt er mehr aus dieser. Die Flasche wird in den nächsten Monaten wohl sein bester Freund werden.

Montag 25.07.

Nichts Neues. Halten, trinken lassen, schmieren und das unter herzzereissendem Geschrei. Wie sollen sich da Muttergefühle einstellen? Aber die Schwellung geht zurück, am Bauch ist schon nichts mehr zu spüren.

Dienstag 26.07.

Gleich 2 Geburten runden unser Tagesprogramm ab. Wir stellen die 4 gleich mit zu den Beiden. Vielleicht beeinflussen die beiden neuen Mütter auch das Verhalten von Belinda. Und wirklich, am Abend lässt sie Gustav das erste Mal ans Euter- ohne Halten nur mit Müsli vor der Nase.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Mittwoch 27.07.

Immer noch 39,5°C Fieber. Aber dennoch lässt sie die Prozedur über sich ergehen. Nur das Geschrei beim Schmieren..., aber die Schwellung geht merklich zurück. Mittlerweile trinkt Gustav ca. 200 ml aus der Flasche. Am späten Nachmittag fällt dann das Fieber innerhalb einer Stunde auf Normaltemperatur.

Donnerstag 28.07.

Kein Fieber, 3 Kreuze - jetzt kann es aufwärts gehen. Und wirklich, das Halten ist jetzt gar nicht mehr notwendig (nur zum schmieren). Schon meine Anwesenheit und Müsli lassen sie stillhalten. Aber die Milchmenge aus der Flasche wird immer mehr. Nur in den Stall treiben muss ich sie immer. So gehen die nächsten Tage weiter. Gustav trinkt mittlerweile alle 4 Stunden ca. 250 ml obwohl er erst 8 bis 10 Minuten am "halben" Euter hing. Nach etwa 2 Wochen warten die beiden schon bis ich komme, um dann von alleine in den Stall zu gehen. Eigentlich sollte das doch auch im Freien funktionieren. Also wieder erst mal draußen festhalten. Doch nicht mit Belinda. Sie tritt wieder und versucht nach ihm zu beißen. Ich lasse los und zeige in Richtung Stall und was macht sie. Sie trottet in den Stall und lässt Gustav gewähren.

So verläuft es jeden Tag, draußen lässt sie ihn nicht ran. Doch nach einer weiteren Woche klappt es auch draußen. Die Flaschenmilchmenge ist jetzt bei 250 bis 300 ml angekommen. Mit seinen mittlerweile 5 Wochen frisst er auch schon ganz schön Gras und Heu. Er ist nicht so rund wie die beiden anderen "Speckis", aber er nimmt zu und wächst und ist schon deutlich größer als die Beiden. Doch wie von heute auf morgen trinkt er aus der Flasche nur noch etwa 120 bis 150 ml. Nur abends ist es etwas mehr und täglich wird es weniger. Als Gustav 7 Wochen alt ist, schwillt ein Viertel des Euters erneut stark an und verhärtet sich. Der TA meinte, dies könnte sogar aufgehen. Und wirklich nach 3 Tagen bildete sich zwischen den Zitzen ein Kanal aus dem massiv Eiter auslief und auch ausgedrückt wurde. Einsprühen mit Blauspray. Von nun an war Gustav eine "Blaustirnamazone", denn trotz aller Widrigkeiten durfte er zu jeder Zeit ans Euter. Die Flasche verweigerte er immer mehr, bis es am Tag noch 1x 120 ml waren.

Ende September

Die Flasche steht verwaist im Schrank. Das Euter ist verheilt. Die beiden unzertrennlich. Wenn ich ihn mal anfassen muss um seinen Zustand zu kontrollieren, muss ich ihn mit der restlichen Herde in den Stall treiben. Schade eigentlich, aber doch gut so.

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